Migräne Fall 3

Frau M., Mitte 40, war von Frühjahr 2004 bis Sommer 2005 bei mir in Behandlung. Ihre Beschwerden waren vor allem eine einmal wöchentlich auftretende Migräne leichter bis sehr schwerer Intensität, die seit 20 Jahren plagt und die sie mit verschiedenen Medikamenten bekämpfte (Indometacin-Zäpfchen, Triptan-Tbl., Metamizol-Tropfen). Außerdem klagte sie über starke Schlafstörungen, die inzwischen zu einer Dauererschöpfung führten, und über zeitweise depressive Verstimmungen. Zusätzlich zu den Migränemitteln nahm sie regelmäßig in geringer Dosierung Beta-Blocker und Benzodiazepine ein.

Frau M. ist eine hübsche Frau, die sehr jung aussieht und viel lächelt. Sie wirkt sehr empfindsam, was sich in der Körperarbeit bestätigt – die meisten meiner Berührungen sind ihr anfangs zu intensiv. Es finden sich die charakteristischen Verspannungen im Kinn-, Nacken- und Schulterbereich, dem Rücken und dem Becken. Energetische Blockaden in der Kehle führten bereits zu einer Schilddrüsen-Operation. Ausgeprägt sind bei ihr die typischen Schmerzpunkte an Schläfe und Hinterhaupt, die bei Migräne gedrückt werden können, um den Schmerz im akuten Anfall zu lindern.

Frau M. ist ein gutes Beispiel dafür, wie Gefühle, die in der Kindheit schon nicht gelebt werden durften, in Muskelverspannungen über viele Jahre im Körper gespeichert bleiben und später Symptome auslösen können. Als ich damit beginne, vorsichtig Verspannungen im Nacken und am Rücken zu lösen, spürt sie innerhalb kürzester Zeit eine Spannung in den Unterarmen. Es tut ihr gut, mit den Armen auf die Matratze zu schlagen, auf der sie liegt. Sie merkt gleich, dass darin Wut zum Ausdruck kommt – sie weiß auch, dass es ihr gut tun und sie entlasten würde, diese „alte“ Wut in der geschützten therapeutischen Situation einmal zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig tauchen aber auch Ängste auf – als Kind hatte sie gelernt, Gefühle um jeden Preis zu unterdrücken und zu beherrschen, da sie sonst bestraft worden wäre. Obwohl diese Gefahr ja heute nicht mehr droht, sitzt die Angst tief im Körper fest und kann nur langsam überwunden werden – der Organismus muss sich erst wieder langsam an Gefühle und ihren Ausdruck herantasten, muss diese natürliche Funktion erst wieder erlernen.

Die Energiearbeit führt bei Frau M. also nicht primär in einen tiefen Entspannungszustand, sondern mehr in die Auseinandersetzung mit Gefühlen. Viel Zeit in ihrem Leben hat sie nach den Wünschen anderer ausgerichtet und sich zu selten gefragt, was sie selber möchte. Sie ist seit über zwei Jahrzehnten verheiratet und hat eine Tochter. Durch die Doppelbelastung von Beruf und Haushalt ist sie überfordert – sie vermisst eigene Freiräume. Die Auseinandersetzung mit ihrer Wut, ihrer Unzufriedenheit und ihrem Ärger führen dazu, dass sie sich sowohl beruflich als auch privat besser abgrenzt und mehr Respekt für sich einfordert. Ihr gelingt es, es sich mehr auf die Dinge zu konzentrieren, die Freude bereiten, verstärkt ihre Freizeitaktivitäten und verfolgt ihren lang ersehnten Wunsch zu singen. Sie nimmt Gesangsunterricht und hat nach einem Jahr sogar einen kleinen Bühnenauftritt.

Hinter der Wut spürt Frau M. auch viel tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit – zu viele Jahre hat sie für andere funktioniert, sich dabei oft übernommen. Nun ist es nicht leicht, den eingefahrenen Gleisen zu entkommen und das Leben mehr nach eigenem Plan zu gestalten. Sie merkt eindrucksvoll, wie Wut und Trauer, wenn sie unterdrückt werden, sich im Migräneanfall zurückmelden – und sie merkt auch, wie positiv ihr Körper reagiert, wenn sie sich selbst mehr verwirklicht, ihrem Bedürfnis nach Kontakt, Liebe und Offenheit folgt.

Die Migräne lässt schon nach 4-5 Behandlungen nach, sie hat oft „nur noch Kopfschmerzen“. In Zeiten starker emotionaler Erregung nimmt die Frequenz wieder zu, doch wenn sie ihre eigenen Interessen vermehrt verfolgt und sich innerlich ausgeglichen fühlt, ist die Migräne völlig verschwunden. Während die schweren Migräneanfälle mit Übelkeit und Erbrechen vor Beginn der Therapie mindestens alle zwei Monate auftraten, hatte sie seit nunmehr anderthalb Jahren nur zwei solche Anfälle. Sie war bis zu drei Monaten ganz schmerzfrei, die Intensität der Schmerzen hat deutlich abgenommen. Die depressiven Verstimmungen sind seltener und kürzer geworden, außer Schmerzmitteln bei Bedarf nimmt sie seit einem halben Jahr keine Medikamente mehr ein.

Frau M. hat in besseres Körpergefühl entwickelt, hat viel mehr Energie und einen guten Schlaf; sie kann besser mit Zeitdruck umgehen und kommt seltener in Stress. Ihr weiteres Therapieziel ist es, ihr Leben privat und beruflich noch aktiver selbst zu gestalten und zu verändern, bis die Migräne als Körper- und Gefühlssignal sich endgültig verabschieden kann.